Hoffnung – der Blick nach Morgen

Hoffnung – der Blick nach Morgen

Das Wesen der Hoffnung, ihre offene Grundhaltung, ist ein Versprechen für morgen, eine positive Haltung in die leuchtende Zukunft hinein. Dagegen sehen wir heute die korrumpierte Seite der Hoffnung, die aus sich heraus Unfreie (serva), die die Ketten nicht lösen kann, deren Substanz aus den täglichen Hiobsbotschaften und Negativmeldungen zunehmend verhärtet. Möglicherweise gilt: „Du verstehst, das Harte unterliegt“, Brecht. Die beeinträchtigte Figur der Hoffnung, die beschädigte, kann nur als eine Art Torso gesehen werden, als Rest eines Ganzen, dem wesentliche Gliedmaßen fehlen. Wie wird sie sich bewegen und wohin?

Zukunft als menschliche, geistige Zukunft ist vorstellbar, als Hoffnung einer geistigen Entwicklung, die zumindest einige Irrtümer der defizitären Gegenwart überwindet. Auch eine Zukunft ohne Menschen ist vorstellbar; aber schwebt der Geist dann immer noch über den Wassern?

Allein die Fähigkeit, Schönheit zu empfinden, sollte schon ausreichen, alle Kräfte aufzubieten, um diese Fähigkeit zu erhalten. Destruktion ist ja nun hinreichend angewendet worden und übermäßig bekannt. Von ihr ist nichts Neues zu erwarten. Der Hoffnung, die wohl etwas schlecht zu Fuß ist zur Zeit, müsste dringend beigestanden werden, ihre Gebrechen geheilt werden.

Orpheus darf die Unterwelt aufsuchen. Manto, Tochter des Tiresias, führt auf Empfehlung Chirons Faust hinab. Mit welcher Hoffnung gehen diese?

Pandora und der Krug (Büchsen gab es damals noch nicht), mit dem sie zu Epimetheus geht: Zuletzt, weil zuunterst, bleibt die Hoffnung im panisch geschlossenen Gefäß zurück. Wie und wann kam sie zu den Menschen? Oder ist das, was die Menschen als Hoffnung bezeichnen, nur ein Schatten der ursprünglichen Hoffnungsidee oder eine Hoffnung unter falschem Namen oder mit später falsch bezeichneter Eigenschaft, die ohne Zustimmung des Olymps zu den Menschen gelangte?

Und die Erinnerungen? An Obstgärten, eine Kindheit, einen großen Garten mit vielen Obstbäumen an einem leichten Hang, Sommer, fremd und offen. Behalten die Erinnerungen ihren Wert, wenn sowohl die Landschaft als auch die Menschen darin sich verändern, durch unterminierende Vorstellungen, Gedankengänge frühere Stabilität verlieren?

Günther Anders spricht von der Zerstörung unserer Zukunft, zwar im Wesentlichen auf die atomare Vernichtung bezogen, aber v.a. auf unsere psychischen Abläufe und Möglichkeiten deutend: Die Unfähigkeit, weil Unmöglichkeit, diese Absurdität sich vorstellen zu können. Weder Täter noch Opfer sind in der Lage, sich die Auswirkungen ihres Tuns auszumalen. Man denke an Hiroshima.

Verloren, verloren: Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir! Diese Tiefe haben wir längst verloren. Es fehlt bereits Wichtigstes. Wohin soll sich die Empfindung wenden, wenn das Erschrecken, das Entsetzen über und vor sich selbst zerfällt? Dem in die Welt Hineingeworfenen scheint weder sein transienter Zustand bewusst zu sein noch die Verantwortung, die er daraus ableiten müsste. „Und solang du das nicht hast, dieses: Stirb und Werde, bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde“, Goethe.

Die in großer Zahl vom Wind und vom Naßschnee gefällten Bäume, die zwei riesigen Ahorne im Wiesengrund, von den Böen Richtung Fluss in die Wiese gedrückt – letztere sind bereits nach ca. zwei Wochen beiseite geräumt, so als wäre nichts geschehen.

Die bei der kleinen Wanderung zwischen Kottensdorf und Weiler beobachteten umgestürzten Bäume: Die Wurzeln können den Baum nicht mehr halten, die Kräfte versagen zunehmend. Welche Hoffnung könnte hier zur Hilfe gerinnen? Welcher Regen beruhigt uns? „Und sanft weht der Wind hin über das hügelig-gewellte Land, still fließt und friedlich das Bächlein zwischen den Wiesen, und über dem frühlingshaften Grün schweben sorglos die Rufe der Vögel, ihr Fordern und Locken.“

„Dreams of a better life“ sollte der Titel zuerst sein, wurde aber geändert in „Das Prinzip Hoffnung“! Bloch fand in der Utopie eines besseren Lebens für alle eine Lösung gesellschaftlicher Probleme und Ungleichheit. Dabei setzte er auf die Theorie von Karl Marx. Das Werk entstand bezeichnenderweise in den USA, die man am Ende des 2. Weltkriegs und lange darüber hinaus für das freieste Land der Welt hielt. Aber auch darauf, nicht nur auf den individuellen und gesellschaftlichen Menschen kann man Blochs Noch-Nicht-Sein anwenden. Nicht Hoffnung auf Veränderung verspricht dieser Zustand, eher unerwünschte Dauer. Dennoch besteht das Prinzip der Hoffnung uneingeschränkt weiter.

Da der Zustand des menschlichen Seins nicht zufriedenstellend zu sein scheint, wird die ersehnte Befreiung vom unerwünschten Zustand in die nähere oder fernere Zukunft gelegt. Ein sofortiger Eintritt in den Garten Eden scheint nicht vorstellbar zu sein. Damit bleibt das Tor dazu verschlossen. Wird die schöne Welt, das gute Dasein über das Leben hinaus verschoben, ist der Gedanke aufgegeben, dass in diesem Leben das Sehnsuchtsziel erreicht werden könnte. Die konkrete Vorstellung, die konkrete Utopie weicht einer fernen Phantasie, der jedwede Möglichkeiten offenstehen.

Im christlichen Glauben richtet sich der Blick nahezu allein auf das Ewige Leben, die Auferstehung nach dem Tode. „Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude ….“ heißt es im Brief des Paulus an die Römer. So wird der erhöht, der dem christlichen Wort folgt. Auf ihn wartet die Herrlichkeit, die er aber im Diesseits nur als Hoffnung kennen darf: „… welches ist Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“, Brief des Paulus an die Kolosser. Durchaus eine erhebliche Kraft, wie man aus der Geschichte weiß. Obgleich die Herrlichkeit als solche unerklärt im Dunkel bleibt, spürt man die Energie, die dieses Wort, das durch dieses Wort erzeugte Bild trägt. Aus dem Wort allein ersteht schon die Kraft. Und wir wissen: „Im Anfang war das Wort …“.

Könnte das angestrebte Ziel nicht in dieser Lebenszeit erreicht werden? Auf das etwas zögerliche Nein drängt sich diese Antwort auf: Weil viele Gewohnheiten, Verhaltensweisen, und vorher Denkweisen sich neu ausrichten müssten. Weil wir uns evtl. umfassend in Frage stellen müssten, weil wir das vermeintlich Sichere in seiner schwankenden Ungewissheit wahrnehmen müssten, weil wir zu einer Neu-Justierung unseres Lebens wie zu einer absolut notwendigen Pflicht uns einfinden müssten.

Ist denn alles nur Pflicht und Zwang und unausweichliche Notwendigkeit? Möglicherweise ja.

Wenn man von A nach B kommen will, muss man die Distanz überwinden, vielleicht auch nur einfach abgehen, jedenfalls angehen. Wir, die wir die Zukunft i.a. nicht kennen, sind darauf zurückgeworfen, erst nach B zu gelangen, um den Zustand dort erkennen zu können. In diesem Zusammenhang scheint nicht der Weg das Ziel zu sein. Ein gewisses Ankommen scheint unabdingbar, um das so sehr gewünschte Urteil abgeben zu können.

Wir stellen uns vor, dass wir ankommen und vor einem Rätsel, einem Unverständnis stehen, einem verschlossenen Haus. Schon kreisen unsere Gedanken, unser Gehirn sucht nach Lösungen oder doch zumindest der einen Lösung, die uns eine Art Erlösung bescheren würde. – „Außer der Zeit ist der Moment des Erkennens.“

„Bleston kennt eine Stunde zwischen Sommer und Winter, die niemals vergeht“, heißt es bei Sebald, und „… doch genau hier gibt es keine Zeit“, bei Tranströmer.

Noch ist ein Schweben im Ungewissen,
noch bleibt das Letzte verborgen.
Im Ruhenden selbst ist Bewegung,
in der Erkenntnis der Zweifel.
Hinter der Klarheit der Dinge
verbergen sich Fragen und Rätsel.

Hoffnung ist immer auf das gerichtet, was nicht ist. Sie wäre überflüssig, wenn der gegenwärtige Zustand weitestgehend einer der Zufriedenheit wäre. Dies ist aber erkennbar nicht der Fall. Es fehlt sogar die nötige Ruhe, die für ein Besinnen, ein genaueres Wahrnehmen unabdingbare Gelassenheit für eine aktuelle Bestandsaufnahme der psychischen Konstellation.

Das andauernde Hasten und Eilen und Jagen nach Zielen und Dingen, die nicht aus der Mitte des Menschen kommen, stellt eine ständige Überforderung dar, deren Folge das moderne Unglücklichsein ist. Übrigens ist das Wort „modern“ schon fast überholt, nahezu obsolet.

Prometheus hat den Menschen beigebracht, wie sie ihr Leben tätig verwandeln können, hat Technik und Wissen vermittelt. Er hat aber auch davor gewarnt, von Zeus Geschenke anzunehmen. Dies hat bekanntlich Epimetheus nicht beachtet und das Gefäß, das die schöne Pandora mitbrachte, geöffnet. Nachdem die Hoffnung zunächst im Gefäß verblieb, als dieses nach erstem Entsetzen geschlossen worden war, scheint es doch so gewesen zu sein, dass später jemand nachgesehen hat, ob noch etwas in diesem Gefäß enthalten sei, und somit die Hoffnung doch noch entschlüpfen konnte.

Nicht nur den erdumwandelnden Menschen, auch dem adlergequälten Prometheus selbst erstand Hilfe und Erlösung aus allzu großer Qual. Was lässt und ließ diese aushalten, bis zur Rettung durchhalten? – Die sich leise und sanft ausdehnende, die ganze Erde durchziehende und bis hinauf in den Olymp sich ausbreitende, die unsichtbare, die herzerobernde, ursprünglich von Zeus gesandte, die zuerst zuunterst liegende Hoffnung.