Poetenfest 2023

Poetenfest 2023

(Unzusammenhängende) Eindrücke vom Poetenfest 2023

Stellt eine Bühne bereits einen Zusammenhang her zwischen den während einer Veranstaltung auf ihr vorgetragenen Texten? Oder ist der Zusammenhang allein durch den Ablauf, den Plan einer Veranstaltung gegeben und von den Teilnehmern gewissermaßen unabhängig? Ist der Zusammenhang als solcher evident, ein Kriterium und eine Vorbedingung oder entsteht er erst im Laufe einer Veranstaltung, oder ist er ein von unseren Vorstellungen konstruiertes Elaborat, das also eigentlich weder grundsätzlich vorhanden noch notwendig ist? Die Kontinuität wird sinnstiftend von unserem Gehirn erschaffen, obwohl es selbst nur in kleinen Zeiteinheiten arbeitet. Ohne diese Leistung zerfiele uns die sog. Zeit in viel Unzusammenhängendes. Wir neigen dazu, das Kontinuierliche zu überschätzen. Und auch Zusammenhänge zu erfinden, die es so womöglich nicht gibt und nie geben wird.

Nun denn, wagen wir uns in medias res und betrachten das Dargebotene: z.B. die Geschichten von Putzmitteln und Lappen aller Art, die das Herz des geneigten Zuhörers beschweren und den Nachmittag endlos machen. Auch Autoren, die alles, aber auch wirklich alles, was in einem so jungen Leben die Schranken der Wahrnehmung durchbrochen hat, durchbrochen haben muss, (vielleicht gewaltsam sogar), in einem überbordenden, mit beängstigender Schnelligkeit dargebotenen Ausbruch des Wortes als Schwall scheinbar ohne Ende über den, wie sagten wir, geneigten Zuhörer hereinbrechen lassen. So manchem Zuhörer scheint aber die Nennung der Marken in diesem speziellen Warensegment zur Heiterkeit zu gedeihen, und seine Anteilnahme wächst mit der Anzahl werbebekannter Namen, wie es schon seit Jahrzehnten beobachtet werden kann. So schön ist eurer Namen Klang! So überschwenglich frei das Denken!

Es gibt aber auch Ausnahmen, die uns helfen zu glauben, dass noch nicht alles verloren ist. Polen, sagte man früher, noch ist Polen nicht verloren. Anderes aber schon! Manchmal kommt etwas wieder zum Vorschein, was man schon ehedem als Allgemeingut gewähnt hatte: Dass Literatur in einem Satz mit Kultur vorkam und nicht mit Event, nicht mit Show, nicht mit vermeintlicher Superiorität. Die enormen Massen, die diesmal dabei gewesen sind – die Wahrheit kann, wie man heute sagt, nicht unabhängig bestätigt werden – spalten sich, wenn sie nicht bereits dissoziieren, in durchaus erkennbare Gruppen. Ein Phänomen sind die sich leerenden Reihen, sobald etwas Gedicht- oder Lyrikähnliches erklingt. Wo sie nur alle hinstreben? Das bringt mich aber zurück zu den Ausnahmen. Sowohl über den Wert der Worte als auch ihren Ursprung, über ihre Verwendung und Anwendung kann tiefsinnig ebenso wie heiter, ja sogar witzig parliert werden. Wenn dabei wie bei einer Inventur das eine und andere Zimmer, dieses und jenes Stübchen betreten wird, spielt es keine Rolle, ob es Sommer ist oder Winter.

Obwohl die Zeit als wichtige vorgegebene Einheit den Tag strukturieren soll mit seinem gleichlängenden Takt, wird ihr der nötige Respekt verweigert. Dem deutschen Gemüt ein Bedürfnis und der Veranstaltung eine Notwendigkeit, ist doch die Missachtung beider eine Unbequemlichkeit und ein Ärgernis. Und wie soll vertane, verpasste, verlorene Zeit zurückgeholt werden in die eh‘ schon vergehenden Leben so vieler Besucher, deren so ins Leere laufende Erfüllungssehnsucht vielleicht auf immer unerfüllt bleiben muss. Ein nahezu unverantwortlicher Umgang mit dieser sich summierenden Zeit des Unausgefülltseins, aufsummiert über alle Beteiligten.

Reingewaschen von all dieser Schuld hat womöglich der Regen, der an beiden Tagen aus dem sich verdunkelnden Himmel fiel, kräftig, unerwartet früh, im Dissens mit der oder den Wetter-Apps, gewissermaßen enttäuschend unplanmäßig.

Andernorts dominieren innere und äußere Befindlichkeiten, die im Nahfeld und unsichtbaren Innenfeld die Positionen besetzen. Die inzwischen so klein gewordene Welt, wie die Medien melden, wird trotz ihrer Nähe kaum begangen. Denn das, was man kennt oder zu kennen glaubt, wird erklärt, umsponnen, gedeutet und bleibt den Schreibenden das liebste Kind. Die Fremde, weil angeblich so nah, ist nicht mehr interessant. Das Nahe, zum Beispiel ein Vater, kann oft auch nur kaum oder nur schwer erreicht werden und füllt daher Seiten. Seiten über Seiten auf der Suche nach Erklärung und Erkennen oder doch nur auf der Suche nach dem Füllbaren der Seiten.

Selbst wenn die erzählten Vorkommnisse nahezu wahr sein sollten, können wir das Interesse daran in einigen Fällen nur dem Voyeurismus zuschreiben und sind einigermaßen befremdet, wenn sich jene und dieser weitgehend in prekären Verhältnissen bewegen. Die in letzter Zeit immer wieder gehörte Formel, es sei doch so ehrlich und offen erzählt, kann nicht überzeugen und deutet allein schon durch ihre Banalität hin auf das Fehlende, das Unstimmige: die Qualität. Weil Lücken da sind, würde Grass vielleicht sagen, dass Ilsebill es nicht so will.

Erwählt wird, was wiedererkannt werden kann, und der Beifall ist denjenigen sicher, die den mediengeschulten Gehirnen den geeigneten Input liefern können. Spitzenreiter sind weniger die Inhalte als vielmehr die volksnahe Darbietung von Geschichten aller Art. Auch Unaufgeräumtes in Haus und Gehirn, das das Dasein füllt und in manchen Fällen erfüllt, weil anderes fehlt.

Wenn die Eleven antreten dürfen, erhebt uns das nicht automatisch. Die vermeintlichen Durchstarter sind dann doch noch weit entfernt von der Norm, die zu erfüllen sein sollte für die Berufung geschweige denn (der Norm) höherer Weihen. Da helfen auch keine Doppeltier-Namen aus dem unteren Achtel der Sprachregion und keine ausgerufenen Paradiese, die hier gewiss nicht zu finden sind, nicht dort jedenfalls, wo man Poeten vermutet, sie als solche benennt.

Hochgegriffene Anmerkungen, Vorbemerkungen und Lobgesänge in einschlägig bekannten Vorankündigungen und den Erlassen der Verlage können bedenkenlos als primitive Werbetexte betrachtet und schnell wieder vergessen werden. Eine richtige Einschätzung hinsichtlich des Wertes misslingt und muss notwendigerweise misslingen, sollten Ehrlichkeit herrschen und (neben dem Wissen) das Gefühl, das Gespür für gute Texte, das sich auf jahrzehntelange Erfahrung stützt.

Wir goutieren aber professionell vorgetragene Kurzsätze in konsequenter Reihung, die dann doch einen Zusammenhang bilden im Stakkato ihrer Gleichheit, die wir vorsichtig Ähnlichkeit nennen. Ebenso die wohltuende Sicherheit, mit der sich manche Autoren auf bekannt höherem Niveau bewegen, sogenannte alte Hasen würden wir gerne sagen, wenn es gestattet wäre.

Dem gegenüber erleben wir jüngere Männer mit fremdländischer Abstammung (Namen wie Utlu und Uzun), die mit klarem, gut verfolgbarem Vortrag unser Erstaunen hervorrufen, auch weil ihre Namen mit hierzulande unüblichen zwei Us Gedankenverknüpfungen hervorrufen, die über das Poetenfest hinaus gehen. Auch zeitlich zurückreichen zu unserem Club in der Poetenfest-Nachbarstadt und zu einem bekannten Literatur-Akteur, der als Jungspund (zwei Mal u !) die Mannschaftsaufstellung eben dieses Clubs als Gedicht veröffentlicht hat, natürlich auch als Provokation, die sich nicht bis heute hat halten können im Gegensatz zu den Kommentaren dazu, die besagen, dies sei das Beste, das er je geschrieben habe. Nun ja, der Provokateur ist Literatur-Nobelpreisträger und der Club in der zweiten Liga. Eingeweihte sagen, dass der Provokateur den wunderbaren Rhythmus, der in Wabra-Leupold-Popp geradezu zu spüren ist, weder in seinem Langgedicht noch anderswo erreicht hat. Zurückgeblieben sind allenfalls tiefe Spuren, die auch heute noch die grünen Rasenfelder von den Wortfeldern trennen.

Zum Schluss lassen wir ein trojanowsches Pferd durch die Szenerie traben mit Protagonisten, die so ähnlich wie Zyan und Kali klingen, vielleicht auch Kalí gesprochen, die indische Göttin. Káli war in meiner Frühzeit die Bezeichnung für ein Düngemittel, wichtig und trotzdem rätselhaft. Dieses Personal hier ist nicht erdgebunden, geht oder schwebt in und aus unbekannten Sphären, ist nicht im bekannten Sinne heimisch, schon gar nicht endemisch. Trotzdem fühlen wir mit dem Erfinder der Figuren und meinen, seine Bedenken zu verstehen, die die kurze Zeitspanne betreffen, die ihm zur Verfügung steht, ein doch umfassendes Geschehen, gebannt in einen Text auf vielen Seiten, nicht ausreichend darlegen zu können. Unsere nun schon seit Stunden gut trainierte Fähigkeit, aus Teilen ein Ganzes zu erraten und Unzusammenhängendes in erkennbare Figuren zu transformieren, bleibt ihm natürlich verborgen. Wir würden ihn dahingehend trösten, wenn dies zugelassen würde, haben aber immerhin die Möglichkeit, durch unseren Beifall, zwar nicht enthusiastisch, aber doch sehr freundlich, ihm dies in nicht verbaler Form mitzuteilen.